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Mehr Gelassenheit in 5 Leveln: Spielerisch zu mehr innerer Ruhe

Im Alltag gibt es unterschiedlichste Gründe, mal eben „aus der Haut zu fahren“. Mir fallen direkt eine gute Handvoll Gründe aus dem letzten Monat ein. Ein knapp verpasster Anschluss-Zug, der mir eine Stunde Wartezeit am Heilbronner Bahnhof beschert hat. Oder wenn der Handwerker wiederholt Termine verschiebt und plötzlich unangekündigt vor der Türe steht und meinen erstaunten Blick nur knapp mit „seien Sie froh, dass wir überhaupt kommen“, quittiert. Zudem hat mein Kater Tyson das neue Sofa als Kratzbaum auserkoren. Und unsere kleine Tochter steckt mitten in der Autonomiephase und legt gerade viel Wert darauf, morgens selbst ihre Kleider (bzw. ausschließlich Kleidchen) auszusuchen und selbstständig anzuziehen, ganz egal wie lange es dauert. Welche Situationen fallen dir aus deinem (Arbeits-)Alltag spontan ein?

 

Klar ist: Auch als Achtsamkeitstrainerin bin ich nicht immer die Ruhe selbst. Aber ich bin zutiefst überzeugt, dass sich innere Ruhe und Gelassenheit durchaus trainieren lassen - und zwar ein Leben lang. Deshalb widme ich diesen Blogbeitrag dem Thema, wie wir in akuten Stress-Situationen, in denen die unterschiedlichsten Gefühle überzukochen drohen, gelassen(er) zu bleiben. 

Doch bevor ich damit loslege, noch eine wichtige Abgrenzung: Gelassenheit bedeutet NICHT, bestimmten Situationen „gleichgültig“ entgegenzutreten. Es geht vielmehr darum, mithilfe einer gelassenen Grundhaltung die notwendige innere Ruhe zu bewahren, um achtsam und mit Bedacht handeln zu können.

 

Wichtiges Rüstzeug auf dem Weg der Gelassenheit

 

Doch was braucht es, um sich auf den Weg hin zu mehr Gelassenheit zu machen? Neben einem langen Atem gehören da sicherlich auch eine Prise Humor und viel Wohlwollen dazu - uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber. Ich habe mich daher dazu entschieden, das Lernfeld Gelassenheit etwas spielerischer anzugehen und diesen Blogbeitrag analog in unterschiedliche "Gaming-Level" aufgebaut. Auch im Alltag fällt es mir leichter, schwierige Situationen oder Zeitgenoss*innen als "Next Level" zu betrachten.

 

Challenge accepted?

 

Albert Einstein hat einmal gesagt: „Es gibt zahlreiche Wege zum Glück. Einer davon ist, aufhören zu jammern.“ Einfacher ist es natürlich, andere Menschen oder die äußeren Umstände dafür verantwortlich zu machen, dass wir genervt, gestresst oder unzufrieden sind. Klar könnte ich die Deutsche Bahn lautstark und/oder in sämtlichen sozialen Netzen verfluchen, dem Handwerker an den Kopf knallen, was ich von ihm halte und der trödelnden Tochter genervt die Kleider über den Kopf ziehen. Doch ob diese (Kurzschluss-)Reaktionen mittelfristig zu mehr Zufriedenheit führen ist fraglich. In letzterem Fall würde das obendrein zu einem Wutanfall ihrerseits führen - und der dauert meist noch viel länger 😉 Wenn wir beginnen, Selbstverantwortung für unsere eigene Gelassenheit zu übernehmen, haben wir den ersten Schritt getan. Auf unsere Mitmenschen und bestimmte Situationen haben wir nicht (immer) Einfluss. Aber wir können entscheiden, wie wir reagieren – und das ist eine riesige Chance. Also los geht’s!

 

1. Level: „Alarmglocken“ achtsam wahrnehmen

 

Beobachte dich aufmerksam in Situationen, in denen du dein Stresspegel steigt und Ärger, innere Unruhe und Nervosität zunehmen. Welche körperlichen und/oder emotionalen Empfindungen tauchen auf? Bzw. wie verhältst du dich, wenn du zunehmend die Contenance verlierst? Manche Menschen fangen beispielsweise an, auf- und abzutigern, bekommen eine lautere Stimme oder rote Flecken im Gesicht, trommeln mit den Fingern auf der Tischplatte oder verspüren einen zunehmenden Druck im Brustraum oder in der Magengegend. Wenn du an dieser Stelle etwas ratlos bist, kannst du auch nahestehende Menschen fragen, was sie an dir beobachten, bevor du aus der Haut fährst. Je besser du deine eigenen „Alarmglocken“ kennst und spürst, desto schneller kannst du zu Level 2 übergehen… 

 

2. Level: Impulse und Reflexe beobachten

 

Wenn du dich erst mal eine Weile darin geübt hast, deine „Alarmglocken“ zu bemerken und zu beobachten, kannst du auch leichter in herausfordernden Situationen innerlich einen Schritt zurücktreten. Das nächste Übungslevel beinhaltet nämlich, auftauchende Reflexe bzw. Impulse unter die Lupe zu nehmen. Sprich: Du registrierst, was du jetzt eigentlich tun würdest – ohne jedoch so zu handeln. Beispielsweise könntest du bemerken, dass du kurz davor bist, einen lauten Schrei loslassen, deinem Gegenüber ebenfalls einen patzigen Kommentar an den Kopf knallen, das Gespräch abrupt zu beenden, aus dem Zimmer zu stürmen und die Türe zuzuknallen, und vieles mehr. Es kann genauso gut sein, dass du dich dabei beobachtest, wie du regelrecht in Schockstarre verfällst. Diese sogenannten Stressreaktionen sind evolutionär in uns anlegt. Die verantwortliche Gehirnregion nennt sich übrigens „Amygdala“ – das sogenannte Angst- und Stresszentrum in unserem Gehirn, das uns blitzschnell zu intuitiven Reaktionen wie Kampf, Flucht oder Erstarren veranlasst. Hilfreich in Zeiten, in denen Lebensgefahr droht(e). Aber heutzutage nagt doch nicht mehr ständig ein Säbelzahntiger an unserer Gelassenheit, oder 😉

 

3. Level: Eine Superpower erkennen und aktivieren

 

Die gute Nachricht ist, dass uns die Evolution mit einer mächtigen „Superpower“ ausgestattet hat, die wir diesem automatischen Stressreaktions-Programm entgegensetzen können. Wir sollten sie nur kennen und aktivieren können. Diese Superpower ist im Präfrontalkortex verortet, der uns als „Emotionsmanager“ dienen kann. Dieser Teil unseres Gehirns ist unter anderem für die Impulskontrolle zuständig und führt uns gewissermaßen vor Augen, welche Konsequenzen unser Tun haben kann. So können wir unsere Handlungen genauer abwägen und analytischer bzw. bedachter auf emotionale Impulse reagieren. Die Neurowissenschaft spricht hier auch von Top-Down-Kontrolle: Das heißt die obere Hirnregion (Präfrontalkortex) kann Situationen neu bewerten und damit auch die untere Hirnregion (Amygdala) wieder beruhigen. Das folgende Video bringt nochmals zentrale Erkenntnisse der Hirnforschung auf den Punkt, auch im Hinblick darauf, wie Meditation unser Gehirn positiv verändern kann. Ab Minute 3:25 min erklärt Manfred Spitzer, einer der bekanntesten deutschen Neurowissenschaftler, das Thema Top-Down-Kontrolle.

So weit so gut. Die Sache hat nur einen Haken: Im Gegensatz zur blitzschnell agierenden Amygdala braucht der Präfrontalkortex etwas länger Zeit, um in die Gänge zu kommen. Wie ein alter, lahmer Windows-PC. Wenn dir im Nachgang Gedanken kommen wie beispielsweise: „Rückblickend hätte ich lieber das und das gesagt oder so und so gehandelt.“ - dann kannst du dir sicher sein, dass jetzt dein Präfrontalkortex (endlich) hochgefahren ist. Doch um dein Präfrontalkortex beim „Hochfahren“ zu unterstützen bzw. die Wartezeit klug zu überbrücken, kannst du Folgendes tun…

 

4. Level: Raum zwischen Reiz und Reaktion schaffen

Nachdem du jetzt weißt, wie dein innerer Emotionsmanager tickt, kannst ihn bestmöglich beim In-die-Gänge-kommen unterstützen. Das ist zum einen Achtsamkeitspraxis. Und zum anderen: Auf Zeit spielen. Eine der berühmtesten Aussagen von Viktor Frankl sind: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit." Verschaffe dir also etwas Raum mit den unterschiedlichsten Strategien, wie z.B.:

  • tief Durchatmen (Atemübungen findest du zudem in diesem Blogbeitrag)
  • einen Schluck trinken
  • innerlich auf 5 Zählen
  • Schweigen bzw. gezielt (Provokationen) Überhören
  • Schmuck (z.B. einen Ring oder ein Armband) von der einen zur anderen Seite bewegen
  • den Schuh binden
  • ein Fenster öffnen
  • auf Toilette gehen bzw. kurz den Raum verlassen
  • uvm.

 

Wenn du nicht im persönlichen Kontakt mit jemandem bist, sondern stattdessen verärgert oder traurig über eine Messenger-Nachricht oder Mail bist, kannst du dir diesen "Raum" sehr viel leichter einräumen, indem du zwar eine Antwort verfasst, aber (noch) NICHT verschickst. Auf diese Weise kannst du deine Gefühle wahrnehmen und ausleben - aber vielleicht mit etwas Abstand (sobald sich der Präfrontalkortex eingeschaltet hat) eine angemessene Reaktion finden.

 

Und wenn wir schon beim Thema Gefühle sind: Diese überhaupt erst einmal wahrzunehmen und beim Namen zu benennen, hat auch eine beruhigende Wirkung. Matthew Lieberman und sein Team von der University of California belegten in einer Studie, dass sich die Amygdala schneller beruhigt, wenn wir Gefühle beim Namen benennen. Außerdem können wir lernen, eine Identifizierung mit Gefühlen wieder aufzuheben, diese im Körper zu verorten und anschließend wieder ziehen zu lassen. 

 

5. Level: Eine angemessene (Re)Aktion finden

 

Ausgestattet mit der Superpower unseres Präfrontalkortex bist du dann in der Lage, gelassen(er) auf unsere Mitmenschen und bestimmte Situationen zu reagieren. Oder besser gesagt: Zu agieren. Denn mit etwas (emotionalem) Abstand zu der jeweiligen Situation tun sich meist viel mehr Handlungsoptionen auf. Gelassenheit bedeutet übrigens auch nicht, sich alles gefallen zu lassen. Doch mit einer gelasseneren Einstellung kann ich anders auf mein Gegenüber eingehen und ggf. auch mehr Verständnis für meine Sichtweise erzielen. Im Umgang mit Kind und Handwerkern fällt das in meinem Fall auf fruchtbareren Boden als bei Bahn und Kratze-Katze. Aber ich geb die Hoffnung nicht auf 😉

 

Wie du deinen Standpunkt klar und trotzdem verständnisfördernd vermittelst ist übrigens das Futter für meinen Blogbeitrag im Juli. Das würde hier sonst wirklich den Rahmen sprengen...

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Kommentare: 1
  • #1

    Matz Anja (Freitag, 17 Mai 2024 14:26)

    Hallo Frau Aline Schmid
    das ist ein sehr verständlicher Beitrag und ergänzt meinen Studienbrief 1.
    Ich selbst arbeite in der Psychiatrie und somit werde ich täglich mit vielen verschiedenen Situationen konfrontiert. Mir diesen Raum zu nehmen um zu agieren/ reagieren hat mir schon bei einigen heiklen Situationen weiter geholfen.
    Zudem ist dieser Beitrag hier eine gute Ergänzung zum heutigen Thema " wie gelingt achtsame Kommunikation".
    Nochmals herzlichen Dank für die inhaltlich tollen und umsetzbaren Beispiele
    MfG
    Anja Matz